Sprachrat Themenpapier : Sprache und Fachkräfteeinwanderung

Deutschland braucht Fachkräfte
Fachkräfte brauchen Deutsch
Fachkräfte brauchen mehr als Deutsch

 

Deutschland braucht Fachkräfte

Der gesellschaftliche Mehrwert von Zuwanderung ist evident: Neben der mit der kulturellen Perspektivenerweiterung einhergehenden grundsätzlichen evolutionä­ren Chance – multiperspektivische Gesellschaften entwickeln sich, historisch gese­hen, dynamischer - muss gerade das überalternde Deutschland ein Eigeninteresse am Ausgleich seiner negativen Bevölkerungsbilanz haben: Stichwort Rentensiche­rung - 2030 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren um 3,9 Millionen auf einen Bestand von 45,9 Millionen Menschen sinken. Insbesondere kann Deutschland vielfach selber nicht mehr das benötige qualifizierte Personal bereitstellen: Stichwort Fachkräftemangel – ohne Gegenmaßnahmen fehlen Deutschland bis 2030 bis zu 3 Millionen Fachkräfte. Insofern ist die Aufnahme von Menschen aus anderen Ländern, aus welchen Gründen auch immer, weniger ein humanitärer Akt - der Deutschland im Übrigen auch gut ansteht -, sondern in erster Linie eine Notwendigkeit zum deutschen Nutzen.

Dabei ist Migration nach und aus Deutschland historisch nichts Neues, sie wird jetzt aber weitgehend in ihren Vorzügen (an-)erkannt und rechtlich besser fundiert - z.B. durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2020 mit Blick auf die Zuwanderung aus Drittstaaten außerhalb der EU. Tatsächlich haben derzeit 26% der deutschen Be­völkerung einen Migrationshintergrund, d.h. sie selbst wurden nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren oder haben mindestens ein Elternteil, das nicht von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit hat. 52% Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund sind deutsche Staatsbürger, davon besitzt gut die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit seit Geburt.

Besonders deutlich wird die Notwendigkeit von Zuwanderung mit Blick auf ihre volkswirtschaftliche Implikation: Zwar gibt es in Deutschland derzeit keinen flächen­deckenden Fachkräftemangel, allerdings können schon heute in bestimmten Regio­nen und Branchen offene Stellen nicht mit geeigneten Fachkräften besetzt werden. Dies betrifft vor allem die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT), den Gesundheitsbereich, die Metall- und Elektroindustrie und das Handwerk. Besonders in Süddeutschland und den neuen Bundesländern spitzt sich die Lage zu. Viele Unternehmen sind bereits akut vom Mangel an Fachkräften betrof­fen: Mehr als 50 Prozent der Unternehmen sehen darin die größte Gefahr für ihre Geschäftsentwicklung.

Das Angebot an Fachkräften wird aus demografischen Gründen weiter zurückgehen; zugleich wird die Nachfrage nach Fachkräften steigen, weil Sektoren mit hohem Fachkräfteeinsatz an Bedeutung gewinnen oder technologische Entwicklungen den Einsatz von Fachkräften begünstigen. Eine Erhöhung der Erwerbsquote (insbeson­dere der Frauenerwerbsquote) und Veränderungen in der Bildungsbeteiligung (d. h. eine Erhöhung der Quote von Bewerber*innen mit einem höheren Schul- bzw. Aus­bildungsabschluss) werden nicht ausreichen, um diesen Nachfrageüberhang auszu­gleichen. Ausgebildete Fachkräfte, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen – oder zu Fachkräften auszubildende Zuwanderer*innen –, sind ein Beitrag zur Lösung dieses Problems.

Fachkräfte brauchen Deutsch

Die sprachliche Qualifikation der Fachkräfte ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor: Sie müssen sich - sicher in unterschiedlichem Maße - in ihrem Beruf, aber auch dar­über hinaus verständigen können. Die sprachliche Vorbereitung muss einerseits nach allgemeinem Zielsprachniveau (GER) und fachsprachlicher Ausrichtung auf die funktionalen Bedarfe der zukünftigen Arbeitsumfelder zugeschnitten werden, in denen die Fachkräfte tätig sein werden. Sie darf dabei aber nicht stehen bleiben, da die Fachkräfte (und oft ihre Familien) nicht nur nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten, sondern um hier – dauerhaft oder auf Zeit - zu leben. Damit diese Form der Zuwanderung auch gesellschaftlich gelingen kann, muss die kommunikative Teil­habe der Zugewanderten am gesellschaftlichen Prozess gesichert werden: Sie benö­tigen daher mehr als ein bloßes „Funktionsdeutsch“, nämlich ein dezidiertes „Partizi­pationsdeutsch“. Dieser in der Vergangenheit weitgehend unterschätzte Aspekt soll­te im Rahmen der aktuellen Fachkräftepolitik deutlich fokussiert werden.

Für eine nachhaltige Deutschqualifikation von Fachkräften empfiehlt sich eine abge­stimmte sprachliche Vorbereitung im Herkunftsland – nicht zuletzt, um die erfor­derliche Zeit bis zur Prüfung der Berufsqualifikation (Anerkennungsverfahren) und der Visaerteilung optimal nutzen zu können – und ihre angemessene sprachliche Begleitung in Deutschland, damit erworbene Deutschkenntnisse in Berufsalltag und familiärer Sprachumgebung nicht gleich wieder verloren gehen. Der kurzfristige Aufbau von Deutschkenntnissen schon ausgebildeter Fachkräfte (Sprachkurse) sollte darüber hinaus um die langfristige Strategie von Deutschunterricht in den Bildungs­systemen der potenziellen Herkunftsländer – insbesondere im Berufsschulbereich – ergänzt werden.

Fachkräfte brauchen mehr als Deutsch

Neben dem Erwerb von in diesem Sinne adäquaten Deutschkenntnissen gehören schon zur Vorbereitung im Herkunftsland spezifische interkulturelle Trainings, die den Fachkräften eine realistische Vorstellung von dem Land geben, in dem sie arbei­ten und leben werden; diesbezüglich enttäuschte Erwartungen dürften ein Haupt­grund für die vergleichsweise hohe (vorzeitige) Rückkehrerrate sein, die es allein schon angesichts der beiderseits hohen Investitionen unbedingt zu senken gilt. Hin­zu kommt eine kontinuierliche vorintegrative Beratung und Betreuung vor Ort und bei der Integration in Deutschland, die die Fachkraft für eine angemessene Zeit nicht mit den erwartbaren Umstellungsproblemen allein lässt. Ebenso wie die sprachliche und interkulturelle Vorbereitung sollte sich auch die Beratung und Betreuung bestenfalls auch auf das familiäre Umfeld der Fachkraft erstrecken, dessen Wohler­gehen zumeist ein entscheidendes Bleibekriterium ist. Schließlich braucht eine er­folgreiche Integration ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt (und in die deutsche Gesellschaft) ein Grundverständnis für ihre je besondere Ausgangs­situation – für das, was sie (schon) „mitbringen“ – bei denjenigen, für die und mit denen sie tätig sein werden: Auch die interkulturelle Vorbereitung und ggfs. Be­ratung der aufnehmenden Unternehmen und des Kolleg*innenkreises trägt zum Er­folg von Fachkräfteeinwanderung bei.